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Wie das Leben manchmal ein wenig schöner werden kann

Es gibt Tage, an denen ist man nicht schadenfroh, wenn man eine Todesanzeige findet, sondern heilfroh. Heute war ein solcher Tag. Ich fand, daß der wahre Jacob gestorben sei. Es ist ein halbes Jahr her, aber  der Tod dauert lange.

Wenn man die Kondolenzbeteuerungen zum wahren Jacob liest, so war er der grundgütigste Mensch auf Erden. Spielte in der Kirche Orgel, als wäre sie schon im Himmel und kümmerte sich um den kirchlichen Nachwuchs.

Von Hause aus war er Ingenieur für Kältetechnik. Das Studienfach wird oft durch charakterliche Eigenschaften ausgewählt. Dank eines mässigen Examens hatte es dann nicht zum Leben in der Wirtschaft gereicht, so daß er eine Ausbildung zum Bibliothekar hinterherschob. Bibliothekar kann jeder. Schlechte Ingenieure braucht kein Mensch. Schlechte Bibliothekare fallen nicht auf.

Da man nicht so recht wußte was mit ihm anzufangen sei, wurde er bald Vorgesetzter. Er wies sich selbst ein 200 qm großes Büro zu, welches stets aussah, als habe eine Bombe eingeschlagen, was aber leider niemals der Fall war. Er zögerte nicht, Mitarbeiter auf zugigen Plätzen auf den Gängen arbeiten zu lassen, auch wenn diese direkt neben dröhnenden IT-Konzentratoren standen und damit einem Konzentrationslager glichen. Sein häufig zu hörender Lieblingssatz war: "Ist mir egal, ob das gegen arbeitsrechtliche Vorschriften ist. Ich mache, was ich will."

Es gab böse Zungen, die meinten, es sei für einen Bibliothekar selten, daß das einzige Buch welches er jemals gelesen habe, das Parteibuch der SPD sei, die seinerzeit in Niedersachsen für die seltsamsten Karrieren zuständig war. Es wurde ignoriert, daß er im Grunde nicht mal ein richtiger Bibliothekar war, sondern eher ein nicht vermittelbarer Umschüler.

Sein Verhalten war unglaublich. Er hortete eine sinnlose Arbeitsanweisung auf die nächste. Es gibt Elefanten in Porzellanläden, und es gab den wahren Jacob. Er brüllte seine untergebenen Damen an, daß sie in Tränen ausbrachen und folgte ihnen sogar ins Damen-WC, wenn sie versuchten vor seinen unkalkulierbaren Wutausbrüchen zu fliehen. Er beschimpfte ältere Mitarbeiterinnen, sie seien eine Geißel des Fortschritts. Der bestand für ihn darin, sogenannte Computerprogramme zu schreiben, bei denen IT-Spezialisten die Haare zu Berge standen, nicht nur, weil sie schlecht funktionierten, sondern weil nirgendwo dokumentiert war, was sein Hirn sich da ausgedacht hatte.

Eine frühere Freundin und ich schrieben eine Zeitlang an einem Bibliotheksroman, in dem unsere Kollegin Margarethe als "Das Grittli" erschien und unsere Kollegin Magdalena Gawlitta als "Frl. Sanella." Der wahre Jacob wurde dort als "Das Mastodon" verewigt, welches mit bürgerlichem Namen Giacomo Mastodonello hieß. Bei der literarischen Formung seines Charakters verließ uns die Freude am Romanschreiben, weil der Gedanke an ihn pure Beklemmung zur Folge hatte.

Jetzt ist der wahre Jacob tot. 87 Jahre alt wurde er. Und nun ist er weg. Für immer.